Rückblick
Seit knapp 40 Jahren wird die Stoßwellentherapie weltweit zur Behandlung von Nierensteinen am Menschen eingesetzt, wobei Deutschland hier eine Vorreiterrolle zukommt. Nachdem 1986 im Zuge einer Röntgenverlaufskontrolle eine Sklerosezone an einer Beckenschaufel auffiel, welche exakt am Durchtrittspunkt der Stoßwellen lokalisiert war, lag die Vermutung der anabolen Beeinflussung des Knochenstoffwechsels nahe – bereits 1989 folgte die erfolgreiche Behandlung einer Pseudoarthrose. Seit gut 25 Jahren wird die Stoßwellentherapie auch in der Schmerztherapie angewandt, wobei bis heute die Behandlung von Sehnenansatzbeschwerden wie bspw. Plantarfasziitis oder Epicondylitis am am geläufigsten ist.
Stoßwellen?
Bei Stoßwellen handelt es sich um energiereiche Druckwellen, wie sie beispielsweise bei Explosionen oder Blitzabgängen freigesetzt werden. Eine „echte“ Stoßwelle erfüllt die physikalischen Formalkriterien des raschen Druckanstiegs (< 10 ns) mit einer kurzen Impulsdauer, der Ausbreitung im Gewebe mit Überschallgeschwindigkeit und hohen Spitzendrucks (>100 bar). Während dies auf die sog. fokussierten Stoßwellen zutrifft ist das bei den sog. radialen Druckwellen nicht der Fall. Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich Erzeugung als auch in ihren physikalischen Eigenschaften deutlich von fokussierten Stoßwellen. Dennoch ist der Terminus „radiale Stoßwelle“ weit verbreitet und akzeptiert.
Ein grundlegender Unterschied ist auch, dass fokussierte Stoßwellen ihre Energie in der vorgegebenen Fokustiefe bündeln und somit die maximale Energie pro Fläche in der Tiefe erreicht wird während radiale Stoßwellen ihre maximale Energie pro Fläche direkt am Eintrittspunkt durch die Haut freisetzen und sich dann kegelförmig ins Gewebe ausbreiten (siehe Abbildung 1). Dem Quadrat- Abstand-Gesetz folgend ist das Wirkmaximum (pro Fläche) der radialen Stoßwellen somit oberflächennahe zu suchen, während dieses bei fokussierten Stoßwellen in der einstellungsabhängig vorgegebenen Fokustiefe zu finden ist.
Wirkhypothesen
Die Wirkmechanismen der Stoßwellentherapie sind nach wie vor Gegenstand zahlreicher Untersuchungen weltweit. Im Folgenden sind die am besten untersuchten Denkmodelle angeführt, es existieren aber noch einige mehr:
Ursprünglich ging man von einer rein mechanischen Wirkung der Stoßwellentherapie aus, die zu Desintegration des Gewebes im Sinne von Spannungsrissen führt. Im Gegensatz zur Lithotrypsie wird in der Orthopädie aber nichts „zertrümmert“ – weder ein Fersensporn noch die Kalkschulter. Gerade in der Schmerztherapie lassen sich aber schon bei sehr niedrigen Energieflussdichten gute Erfolgsraten beobachten und im Zuge der Pseudoarthrosenbehandlung nach offenen Frakturen fiel auch eine deutlich verbesserte Wundheilung der Haut auf, weshalb man sich gezwungen sah das rein mechanistische Denkmodell zu verlassen und sich auf die Suche nach biologischen Gewebsreaktionen zu machen. (Abbildung 1: fokussiert (elektromagnetisch) vs radial / aus „Leitlinien 2013“ auf www.digest-ev.de / Literatur beim Autor)
Diese suspizierte Überführung von mechanischer Energie in eine biologische Gewebeantwort im Sinne von Genexpression und enzymatischer Gewebsreaktion wird als „Mechanotransduktion“ bezeichnet. Im Tierversuch war festzustellen, dass es nach Stoßwellentherapie vor allem zu einer Ausschüttung von Wachstumsfaktoren, Angioneogenese, Immunmodulation sowie Aktivierung von Stammzellen im Gewebe kommt, was nicht nur eine Gewebereparatur, sondern tatsächlich auch Geweberegeneration ermöglichen dürfte.
Welche Faktoren nun entscheidend für den Erfolg zeichnen ist nicht hinlänglich geklärt, eigene Untersuchungen an 363 Plantarfasciitisfällen zeigten uns jedoch, dass weder epidemiologische Daten noch relative bzw. absolute applizierte Energieflußmengen nennenswerten Einfluss auf den Erfolg hatten. Solange also offensichtlich eine erforderliche Mindestenergiemenge verabreicht wurde, waren die Erfolgsaussichten bei allen Patienten gleich gut.
©OS Speising
Indikationen
Die Internationale Gesellschaft für Stoßwellentherapie (ISMST) hat in Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen internationalen Gesellschaft für Stoßwellentherapie (DIGEST) ein Konsensus Statement erarbeitet, welches nach aktuellem Stand der Literatur einen Empfehlungsgrad für eine Vielzahl von Diagnosen gibt und entsprechend als Referenzpapier für Behandler bei der Indikationsstellung dienen sollte. Zu den gut untersuchten Standardindikationen zählen neben den häufigen Sehnenansatzbeschwerden vor allem auch Pseudoarthrosen, Stressfrakturen, avaskuläre Knochennekrosen (bspw. Hüftkopfnekrosen) im Frühstadium und Osteochondrosis dissecans im Frühstadium.
In Anbetracht der bisher kaum zu beobachtenden Nebenwirkungen und dem sehr überschaubaren Kontraindikationskatalog ziehen diverse erfahrene Behandler nachvollziehbarerweise die Stoßwellentherapie auch bei anderen Beschwerdebildern als Therapieoption heran.
Stoßwellentherapie im Sport
Die Behandlung von Muskelverletzungen stellt einen der großen Trends der letzten Jahre dar. Ursprünglich ging man von einem rein detonisierenden und damit schmerztherapeutischen Effekt aus, der so eine frühere Rückkehr zum Training bei geringergradigen Schädigungen des Muskels ermöglichte. Da diese geringgradigen, aber schmerzhaften Muskelverletzungen aber dennoch für einen Großteil der Trainingskarenzzeiten im Sport verantwortlich zeichnen, machen sich bereits Ärzte und Physiotherapeuten diverser Vereine in deutschen und italienischen Profiligen die Stoßwellentherapie zunutze. Hierbei kommen – wohl in Anbetracht des oft größerflächigen Behandlungsareals – häufiger radiale Stoßwellen zum Einsatz. Vor wenigen Jahren konnte von einer Salzburger Forschungsgruppe bei Anwendung fokussierter Stoßwellen jedoch erstmals gezeigt werden, dass tatsächlich auch eine raschere Regeneration einer etwaigen höhergradigen Muskelläsion durch Stoßwellentherapie zu erzielen ist.
Während sich bei der Behandlung von Knochenmarködemen sowohl radiologisch als auch klinisch gute Erfolge erzielen lassen fand sich bei der Behandlung von Arthrosen großer Gelenke generell zwar ein transienter, schmerzlindernder Effekt, die bisher vorliegenden Studien blieben den erhofften bahnbrechenden knorpelregenerierenden Erfolg aber schuldig. Somit ist in erster Linie bei posttraumatischen oder überlastungsbedingten Knochenmarködemen – wie sie im Sport regelmäßig zu beobachten sind – mit einer raschen Besserung der Symptome wie auch einer deutlichen Beschleunigung der Rückbildung des Ödems in der MRT-Bildgebung zu rechnen. Bei arthrotisch bedingten Knochenmarködemen ist freilich mit einem zeitlich absehbaren Wiederauftreten des Ödems und der Beschwerden zu rechnen.
In Zusammenhang mit den genannten Arthroseschmerzen sei auch ein Anwendungsbeispiel bei chronischen lumbalen Beschwerden genannt, welches v.a. Sportler im fortgeschritten jugendlichen Alter häufig betrifft: Die Behandlung von Facettengelenkssyndromen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Stoßwellen brachte klinisch den wenigen vorliegenden Artikeln zufolge erstaunlich gute und auch langanhaltende Erfolge mit sich. Eine Knorpelregeneration ist zwar auch hier wenig wahrscheinlich, die gezeigte klinische Wirksamkeit kommt aber sowohl hinsichtlich Schmerzreduktion als auch Wirkdauer den dzt. gängigen Facettengelenksdenervierungen erstaunlich nahe. Dies deckt sich auch mit der persönlichen Erfahrung des Autors. (©OS Speising)
Ausblick
Die Stoßwellentherapie ist wahrscheinlich die meistbeforschte schmerztherapeutische Methode der letzten Jahre. Mittlerweile beschränken sich die Untersuchungen aber eben nicht mehr nur auf den schmerzlindernden Effekt. Pilotstudien bei M. Dupuytren beispielsweise lassen neben etwaiger Schmerzlinderung auf langsamere Progression der Erkrankung hoffen. Das Tiermodell hat eindrucksvoll bewiesen, dass iatrogene Nervenläsionen und auch Durchblutungsstörungen durch Stoßwellenbehandlung deutlich rascher regenerieren. Diverse Autoren beschreiben Erfolge in der Behandlung ischämischer Bezirke nach Insult sowie auch beachtliche Herzleistungssteigerungen bei Bypasspatienten nach Myokardinfarkten. In der Urologie wird sie längst nicht mehr nur zur Lithotrypsie angewandt, auch hier macht man sich mittlerweile ihre biologischen Wirkmechanismen zunutze und behandelt chronische Prostatitis, Induratio penis plastica oder erektile Dysfunktion. In der plastischen Chirurgie werden Transplantate mit Stoßwellen „aktiviert“, chronische Wunden und Cellulite behandelt.
Fazit
Die Stoßwellentherapie hat immer noch ein kaum zu erahnendes Entwicklungspotential – die langsam klarer werdenden Wirkmechanismen bringen immer neue Anwendungsmöglichkeiten zutage. Bei leitliniengerechter Anwendung sind keine anhaltenden Nebenwirkungen bekannt. In der Orthopädie ist die Stoßwellentherapie immer noch nur second-line-Therapie, was in Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse bei diversen Indikationen über kurz oder lang zu überdenken ist. Selbstverständlich ist bei Beschwerden am Bewegungsapparat auch auf zugrundeliegende, oftmals funktionelle Probleme zu achten und diesen zu begegnen. Gezielte Heilgymnastik ist somit häufig ein guter Partner für eine effektive Therapie und Prävention der Beschwerden.
Nützliche Links:
www.ismst.org
– Internationale Gesellschaft für Stoßwellentherapie
www.digest-ev.de
– Deutschsprachige internationale Gesellschaft für Stoßwellentherapie
Der AUTOR:
Dr. Raphael Scheuer ist Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie in Wien (A). Neben seiner angestellten Tätigkeit am Wirbelsäulenzentrum des Orthopädischen Spitals Wien-Speising ist er freiberuflich ebenso in Wien tätig. Sein Hauptbetätigungsfeld sind die konservative und chirurgische Behandlung von Beschwerdebildern der Wirbelsäule, wobei er sich in seiner Funktion als Präsident des Forschungsvereines „Center of Excellence for Orthopaedic Painmanagement Speising (CEOPS)“ in den letzten Jahren ausgiebig der Untersuchung von Therapieoptionen aktivierter Osteochondrosen / Modic-Veränderungen der Wirbelsäule gewidmet hat. Die extracorporale Stoßwellentherapie ist bereits seit der Ausbildungszeit eines seiner Steckenpferde und nicht zuletzt aufgrund der sich immer weiter eröffnenden Einsatzmöglichkeiten von großer Bedeutung in seinem klinischen Alltag. (©privat)
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